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Die Sache mit dem Zucker und Fruktan

Gräser sind faszinierende Organismen, die ihren Energiehaushalt sehr flexibel steuern können. Durch Fotosynthese wandeln sie in ihren Blättern Sonnenlicht, Kohlendioxid und Wasser in Zucker um – vor allem Glukose und Saccharose. Diese Zucker dienen der Pflanze als Energiequelle für Wachstum, Zellteilung und Reparaturprozesse. Wird mehr Energie produziert, als aktuell benötigt wird, wandelt die Pflanze den Überschuss in sogenannte Fruktane um – langkettige Zuckerverbindungen, die als kurzzeitige Energiespeicher dienen.

Die Fruktane werden in der Basis des Halms, also im unteren Bereich der Pflanze, eingelagert. Dort liegen die Wachstumszonen, aus denen neue Blätter und Triebe entstehen. Fruktan ist für Gräser das, was Stärke für viele andere Pflanzen ist: eine Reserve, auf die sie bei Bedarf schnell zugreifen können.

Wie viel Zucker oder Fruktan das Gras enthält, hängt jedoch stark von Umweltfaktoren wie Temperatur, Licht und Feuchtigkeit ab. Je nach Witterung und Tageszeit schwanken die Werte erheblich – und damit auch der Energiegehalt des Futters. Gerade diese Schwankungen sind entscheidend, wenn es um den richtigen Zeitpunkt für den Weidegang geht.

Wie sich Zucker und Fruktan im Tagesverlauf verändern

Der Gehalt an Zucker und Fruktan in Gräsern unterliegt einem deutlichen Tagesrhythmus, der vom Zusammenspiel aus Sonne, Temperatur und Wachstumsbedingungen bestimmt wird. Beide Stoffe stehen in engem Zusammenhang: Zucker wird tagsüber in den Blättern gebildet, Fruktan entsteht, wenn dieser Zucker nicht sofort verbraucht oder transportiert werden kann.

An sonnigen Tagen steigt die Fotosyntheseleistung im Laufe des Vormittags stark an. Die Pflanze produziert große Mengen Zucker, um Energie für Wachstum und Zellteilung bereitzustellen. Wenn die Wachstumsbedingungen günstig sind – also ausreichend Feuchtigkeit, Wärme und Nährstoffe vorhanden sind – wird der Zucker direkt verbraucht. Das Gras wächst, und der Fruktangehalt bleibt niedrig.

Anders verhält es sich bei kühlem oder trockenem Wetter. Wenn die Pflanze zwar viel Zucker bildet, diesen aber wegen Wachstumshemmungen nicht umsetzen kann, wandelt sie den Überschuss in Fruktan um. Fruktan ist also eine Art Energiespeicher, den das Gras in seiner Basis anlegt, bis bessere Wachstumsbedingungen herrschen. Im Verlauf des Tages können so sowohl der Zucker- als auch der Fruktanwert deutlich ansteigen – besonders, wenn es sonnig, aber kühl oder trocken ist.

Nachts findet keine Fotosynthese statt, daher wird kein neuer Zucker gebildet. Die Pflanze lebt dann von ihren Reserven und nutzt den gespeicherten Zucker und Fruktan, um weiterzuwachsen und lebenswichtige Stoffwechselprozesse aufrechtzuerhalten. Ist die Nacht mild, laufen diese Prozesse aktiv, und die Zucker- und Fruktanwerte sinken bis zum Morgen deutlich ab.

Bleibt es jedoch kalt, verlangsamt sich der Stoffwechsel. Der Fruktanabbau stoppt, und ein Teil des verbleibenden Zuckers wird sogar in weiteren Fruktan umgewandelt. Das Ergebnis sind hohe Fruktanwerte am frühen Morgen, vor allem nach klaren, kalten Nächten mit Sonnenschein. Sobald am nächsten Tag wieder Licht zur Verfügung steht, beginnt die Pflanze erneut Zucker zu bilden. Wenn das Wachstum weiterhin eingeschränkt ist, steigt der Fruktangehalt noch weiter an – eine Situation, die besonders im Frühjahr und Herbst häufig vorkommt.

In warmen, feuchten Sommerperioden läuft das System dagegen stabiler. Die Zuckerproduktion und das Wachstum sind im Gleichgewicht, und Fruktan wird kaum eingelagert. Bei Trockenheit ändert sich das Bild erneut: Das Wachstum stagniert, während die Fotosynthese durch Sonneneinstrahlung weiterläuft – die Pflanze kann die Energie nicht nutzen und lagert sie als Fruktan ein. Erst nach Regen, wenn das Wachstum wieder einsetzt, werden die Reserven abgebaut und in neue Triebe umgesetzt.

Diese täglichen und jahreszeitlichen Schwankungen erklären, warum derselbe Weideabschnitt an einem Tag völlig unbedenklich und am nächsten Tag riskant sein kann. Entscheidend ist nicht nur die Temperatur oder die Jahreszeit allein, sondern das Zusammenspiel aus Licht, Wärme, Wasser und der Fähigkeit der Pflanze, den produzierten Zucker auch wirklich in Wachstum umzusetzen.

Wann Pferde auf die Weide dürfen – und wann besser nicht

Die Konzentration von Zucker und Fruktan im Gras folgt keinem festen Muster, sondern hängt eng mit dem Wetter, der Tageszeit und dem Wachstum der Pflanzen zusammen. Wer diese Zusammenhänge kennt, kann das Risiko beim Weidegang deutlich verringern.

Morgens nach kalten Nächten sind die Fruktanwerte besonders hoch. Das betrifft vor allem Frühling und Herbst, wenn sonnige Tage auf Nächte mit Temperaturen unter fünf Grad folgen. In dieser Situation ist das Gras besonders energie- und fruktanreich – ein Risiko für Pferde mit empfindlichem Stoffwechsel, EMS oder Hufrehe-Vorgeschichte. Solche Tiere sollten an diesen Tagen überhaupt nicht auf die Weide oder nur für sehr kurze Zeit unter sicheren Bedingungen.

Am späten Nachmittag oder frühen Abend sinkt der Fruktananteil in der Regel wieder, wenn die Pflanzen den tagsüber gebildeten Zucker bereits für das Wachstum genutzt haben. Bei milden Temperaturen und ausreichend Feuchtigkeit ist das die sicherste Zeit für den Weidegang – auch für empfindliche Pferde, sofern sie vorher mit Heu gefüttert wurden, um gieriges Fressen zu vermeiden.

An bewölkten oder regnerischen Tagen ist das Risiko für hohe Zucker- und Fruktanwerte meist geringer, weil die Photosyntheseleistung eingeschränkt ist. Unter diesen Bedingungen kann der Weidegang auch für empfindliche Tiere etwas länger ausfallen – dennoch sollte man immer behutsam bleiben, besonders bei starkem Wachstumsschub nach Regen.

Im Sommer, wenn die Nächte mild und die Tage warm sind, ist die Weidezeit in der Regel am unbedenklichsten. Die Zuckerproduktion und das Wachstum stehen dann im Gleichgewicht. Doch auch hier kann Trockenstress die Situation verändern: Wenn das Gras zwar Zucker bildet, aber nicht wächst, steigt der Fruktananteil wieder an. Nach längeren Trockenphasen ist daher Vorsicht geboten – besser erst nach dem nächsten Regen wieder grasen lassen.

Kurzzeitige Weidegänge bis zwei Stunden sollten immer in die Tageszeit gelegt werden, in der Zucker- und Fruktanwerte am niedrigsten sind – also am Nachmittag oder frühen Abend, bei milden Temperaturen und nach feuchten Nächten. Längere Weidezeiten eignen sich nur an Tagen mit stabilen, warmen und feuchten Bedingungen, wenn die Pflanzen aktiv wachsen können.

Für Pferde mit empfindlichem Stoffwechsel gilt grundsätzlich: Kein Weidegang bei kalten Nächten, starker Sonneneinstrahlung, Trockenheit oder deutlichem Wachstumsschub nach Regen. In solchen Phasen ist der Energiegehalt des Grases zu hoch. Hier sind Ausweichmöglichkeiten wie Paddocks mit Heufütterung oder Bewegungsangebote ohne frisches Gras die bessere Wahl.

Fazit

Ob eine Weide für Pferde sicher ist, entscheidet nicht allein die Jahreszeit, sondern das Zusammenspiel von Licht, Temperatur und Wachstum. Kalte Nächte und Sonne führen zu hohen Fruktanwerten, warme und feuchte Bedingungen dagegen zu niedrigeren. Wer seine Pferde nach diesen natürlichen Rhythmen weidet, schützt sie vor Stoffwechselbelastungen, Verdauungsstörungen und Hufrehe.

Ein pferdegerechtes Weidemanagement bedeutet daher, die Pflanzenphysiologie zu verstehen und das Wetter im Blick zu behalten. Richtig geplant ist Weidegang kein Risiko, sondern wertvoller Teil einer natürlichen und gesunden Pferdehaltung.