Wenn Gras zur Gefahr wird
Wenn Gras krank macht
Eine saftig grüne Weide gilt für viele Pferdehalter als Inbegriff von Gesundheit und Natur. Doch nicht jede Weide ist automatisch gut für Pferde. Manche Flächen bergen Risiken, die man mit bloßem Auge nicht erkennt: unsichtbare Pilze, überzüchtete Hochleistungsgräser, Giftpflanzen oder ein Nährstoffgleichgewicht, das sich schleichend verschoben hat. Was wie sattes Futter aussieht, kann den Stoffwechsel überlasten oder sogar zu ernsthaften Erkrankungen führen. Viele dieser Probleme entstehen langsam – durch falsche Gräsermischungen, Überweidung, mangelnde Pflege oder einseitige Düngung. Wer seine Weide als Futterquelle versteht, muss sie wie ein empfindliches Ökosystem betrachten, das nur im Gleichgewicht gesund bleibt.
Endophyten – unsichtbare Pilze im Gras
Endophyten sind mikroskopisch kleine Pilze, die im Inneren mancher Gräser leben, vor allem in Hochleistungsarten wie Deutschem Weidelgras oder Wiesenschweidel. Für die Pflanze sind sie nützlich, denn sie machen sie widerstandsfähiger gegen Trockenheit, Fraß und Krankheiten. Für Pferde können sie dagegen gefährlich werden. Einige Endophyten bilden sogenannte Alkaloide – giftige Stoffe, die das Nervensystem, die Blutgefäße und den Stoffwechsel belasten. Pferde reagieren darauf mit Nervosität, Muskelzittern, Koordinationsproblemen, Fruchtbarkeitsstörungen oder allgemeiner Leistungsschwäche. In schweren Fällen können Vergiftungserscheinungen auftreten, die an eine Rehe oder Durchblutungsstörung erinnern.
Besonders riskant sind Weiden, die ursprünglich für Rinder angelegt wurden. Dort findet man häufig endophytenhaltige Gräser, die für Kühe unproblematisch, für Pferde aber ungeeignet sind. Eine pferdegerechte Weide sollte dagegen aus endophytenfreien Arten bestehen, wie Wiesenrispe, Knaulgras oder Lieschgras. Wer Flächen übernimmt, sollte sie prüfen lassen oder durch gezielte Nachsaat nach und nach in einen pferdetauglichen Bestand überführen. So bleibt die Grasnarbe stabil, ohne dass versteckte Pilze zu einem Gesundheitsrisiko werden.
Slobber Disease – Speichelfluss durch Pilzgifte
Ein weiteres Problem, das durch Pilze entsteht, ist die sogenannte Slobber Disease, auch Speichelkrankheit genannt. Sie tritt bevorzugt im Spätsommer und Herbst auf, wenn feucht-warme Witterung herrscht und Klee in der Weide überhandnimmt. Verursacher ist der Pilz Rhizoctonia leguminicola, der vor allem Rotklee befällt. Weißklee und Luzerne können ebenfalls betroffen sein, zeigen jedoch deutlich seltener Symptome. Der Pilz bildet den Stoff Slaframin, der die Speicheldrüsen reizt und bei Pferden zu starkem, unstillbarem Speicheln führt. Oft sieht man die Pferde mit tropfendem Maul, nasser Brust und feuchtem Fell im Brustbereich. Manche Tiere wirken zusätzlich matt oder zeigen leichten Durchfall.
So harmlos das Krankheitsbild auf den ersten Blick erscheinen mag, es ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Weidegleichgewicht gestört ist. Klee liebt stickstoffarme, eher magere Böden, auf denen die Futtergräser geschwächt sind. Fehlt also Stickstoff, begünstigt das den Klee – und damit indirekt auch die Entwicklung des Pilzes. Mit einer angepassten, maßvollen Düngung lässt sich das Gleichgewicht wiederherstellen, indem die Gräser gestärkt und der Kleeanteil zurückgedrängt werden.
Als Sofortmaßnahme sollten betroffene Flächen umgehend abgeweidet oder abgesperrt werden. Sobald die Kleepflanzen abgetrocknet oder abgefressen sind, verschwindet der Pilz meist wieder. Die Weide sollte dennoch erst nach einer Trocknungsphase erneut genutzt werden, um eine Wiederinfektion zu vermeiden. Und auch wenn die Slobber Disease häufig glimpflich verläuft, gilt: Übermäßiger Speichelfluss, Apathie, Fieber oder Bewegungsstörungen können auf schwerwiegendere Erkrankungen hindeuten. Wenn sich der Zustand eines Pferdes verschlechtert, muss in jedem Fall ein Tierarzt hinzugezogen werden.
Giftpflanzen – die schleichende Gefahr im Grünen
Neben Pilzen sind Giftpflanzen eine der größten Gesundheitsgefahren auf Pferdeweiden. Besonders das Jakobskreuzkraut hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Es enthält Pyrrolizidinalkaloide, die die Leber schädigen und sich im Körper anreichern. Die Symptome treten oft erst Wochen später auf, wenn der Schaden bereits irreversibel ist. Frisches Jakobskreuzkraut wird meist gemieden, doch im Heu verlieren die Pflanzen ihren bitteren Geschmack und werden mitgefressen – mit teils tödlichen Folgen.
Auch die Graukresse ist ein wachsendes Problem. Sie kann bei Pferden Fieber, Durchfall und Ödeme an den Beinen verursachen, besonders wenn sie in Heu oder Silage gelangt. Hahnenfuß wiederum tritt häufig auf überweideten Flächen auf. Frisch reizt er die Maulschleimhaut und kann Koliken auslösen, verliert aber beim Trocknen seine Giftigkeit. Herbstzeitlose, Adlerfarn oder Sumpfschachtelhalm sind weitere Pflanzen, die in feuchten, schlecht gepflegten Bereichen vorkommen können und ebenfalls giftig sind.
Pferde meiden viele dieser Pflanzen, solange genug anderes Futter vorhanden ist. Doch wenn die Fläche übernutzt oder das Gras unattraktiv geworden ist, steigt das Risiko, dass sie auch giftige Pflanzen aufnehmen. Die beste Vorbeugung ist eine dichte, gepflegte Grasnarbe. Wer regelmäßig mäht, nachsät und Überweidung vermeidet, verhindert, dass gefährliche Pflanzen Fuß fassen.
Zu fettes Gras – wenn Futter zu viel des Guten ist
Nicht nur Giftpflanzen und Pilze können Pferden schaden – auch das „falsche“ Gras selbst kann zum Problem werden. Hochleistungsgräser wie Deutsches Weidelgras oder Wiesenschweidel wurden für Rinderweiden gezüchtet. Sie speichern große Mengen an Zucker und Fruktan, um schnelles Wachstum und hohe Energiedichte zu erreichen. Für Pferde, deren Verdauung auf rohfaserreiches, energiearmes Futter ausgelegt ist, ist das ein Problem. Besonders im Frühjahr und Herbst, wenn sonnige Tage und kalte Nächte zusammenfallen, steigt der Fruktangehalt sprunghaft an. Das Gras ist dann zwar saftig, aber für viele Pferde eine stoffwechselbedingte Belastung.
Übermäßiger Zucker- und Energiegehalt kann zu Übergewicht, Insulinresistenz und Hufrehe führen – typische Symptome des Equinen Metabolischen Syndroms (EMS). Auch eiweißreiches, stickstoffbetontes Gras nach intensiver Düngung überfordert Leber und Nieren. Die Tiere zeigen träge Bewegungen, verlieren Muskulatur, entwickeln Fettdepots an Hals oder Kruppe und neigen zu Haut- und Verdauungsproblemen. Eine pferdegerechte Weide ist dagegen magerer, rohfaserreicher und langsamer wachsend. Sie wird nicht auf Höchstertrag, sondern auf Gesundheit gepflegt. Die richtige Gräserwahl, maßvolle Düngung und regelmäßige Pflege sind hier entscheidend.
Schimmelpilze im Gras – unsichtbare Belastung im Herbst
Im Spätsommer und Herbst, wenn die Gräser altern und beginnen abzusterben, übernehmen Pilze die abgestorbenen Pflanzenreste. Besonders auf feuchten, wenig gepflegten Flächen bildet sich ein dünner, kaum sichtbarer Belag aus Schimmelpilzen, der die Futterqualität massiv beeinträchtigen kann. Auch übermäßige Bodenfeuchte, Staunässe oder mangelnde Belüftung fördern Pilzbefall. Die Pilze produzieren Toxine, die die Leber belasten, Verdauungsstörungen verursachen und bei empfindlichen Pferden allergische Reaktionen hervorrufen können. Die Symptome sind oft unspezifisch: Husten, Mattigkeit, Appetitlosigkeit oder leicht erhöhter Puls.
Schimmelpilze entstehen vor allem auf überständigen oder unregelmäßig beweideten Flächen, auf denen abgestorbene Halme liegen bleiben. Abhilfe schafft regelmäßige Pflege: rechtzeitiges Mähen, Entfernen von Altgras, Belüftung des Bodens und bei Bedarf eine Nachsaat mit stabilen, vitalen Gräsern. Eine lebendige Grasnarbe, die aktiv wächst und den Boden beschattet, lässt Pilzen kaum Raum.
Gesunde Weide – gesundes Pferd
Die Gesundheit der Pferde beginnt auf der Weide. Eine falsche Pflanzenzusammensetzung, Übernutzung oder mangelnde Pflege kann langfristig zu ernsten Erkrankungen führen – von Stoffwechselstörungen bis hin zu Lebervergiftungen. Eine gesunde Weide ist dagegen artenreich, standortangepasst, ausgewogen gedüngt und regelmäßig gepflegt. Sie bietet den Pferden strukturreiches, energiearmes Futter und bleibt widerstandsfähig gegenüber Pilzen und Unkräutern.
Wer Anzeichen von Krankheit bemerkt – ob übermäßiges Speicheln, Lahmheit, Kolik oder ungewöhnliches Verhalten – sollte nicht abwarten, sondern sofort den Tierarzt hinzuziehen. Viele Weideprobleme lassen sich beheben, doch wenn sie einmal auf den Organismus übergegriffen haben, wird die Behandlung schwieriger.
Eine pferdegerechte Weide ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis von Wissen, Pflege und Achtsamkeit. Wer seine Flächen richtig bewirtschaftet, schützt nicht nur den Boden, sondern vor allem seine Pferde – Tag für Tag, Biss für Biss.
