Richtig an- und abweiden
Warum An- und Abweiden so wichtig sind
Der Wechsel von der Stallfütterung auf die Weide ist für Pferde kein einfacher Übergang. Junges Gras unterscheidet sich stark von Heu: Es enthält deutlich mehr Wasser, Zucker und Eiweiß, aber weniger Rohfaser. Diese Zusammensetzung fordert den empfindlichen Verdauungstrakt des Pferdes heraus. Eine zu schnelle Umstellung kann nicht nur zu Verdauungsstörungen, sondern auch zu schwerwiegenden Stoffwechselproblemen führen.
Richtiges An- und Abweiden schützt daher nicht nur den Organismus des Pferdes, sondern auch die Weide selbst. Denn auch das Gras muss sich an den Fraßdruck anpassen können. Wer langsam und kontrolliert vorgeht, legt den Grundstein für eine gesunde Weidesaison – für Tier und Pflanze gleichermaßen.
Anweiden im Frühjahr – sanft ins frische Grün
Nach den Wintermonaten beginnt das Gras zu wachsen und liefert frisches, junges Grün. Dieses erste Wachstum ist jedoch besonders energiereich: Die jungen Gräser enthalten hohe Mengen an Fruktan und Zucker, aber nur wenig Struktur. Für Pferde, deren Verdauungssystem auf rohfaserreiches Winterfutter eingestellt ist, ist das eine abrupte Veränderung. Damit sich die Darmflora umstellen kann, sollte das Anweiden schrittweise erfolgen.
In den ersten Tagen genügen kurze Weidegänge von etwa 10 bis 15 Minuten, die täglich etwas verlängert werden sollte. Gleichzeitig sollte weiterhin Heu gefüttert werden, um den Übergang abzufedern und die Verdauung zu stabilisieren. Die Pferde dürfen erst länger auf die Weide, wenn das Gras mindestens 15 Zentimeter hoch ist und bereits gut verwurzelt. So werden Trittschäden vermieden, und die jungen Pflanzen können sich besser verzweigen, was die Grasnarbe dichter und widerstandsfähiger macht. Geduld lohnt sich: Eine langsam aufgebaute Weide verträgt die Saison deutlich besser als eine überstürzt genutzte Fläche.
Gefahren beim zu frühen Anweiden
Zu frühes oder zu schnelles Anweiden ist einer der häufigsten Fehler im Frühjahr. Junge, kurz gewachsene Pflanzen enthalten besonders viel Fruktan und Zucker, aber kaum Rohfaser. Wird solches Gras in größeren Mengen aufgenommen, verändert die Darmflora drastisch. Es entstehen Fehlgärungen im Dickdarm und es werden verschiedene Säuren gebildet. Beides stört das empfindliche Gleichgewicht der Mikroorganismen. Stirbt ein Teil der Bakterienflora ab, gelangen deren Zerfallsprodukte in den Blutkreislauf – und das kann eine fruktaninduzierte, stoffwechselbedingte Hufrehe auslösen.
Wie Zucker und Fruktan vom Wetter abhängen
Der Gehalt an Zucker und Fruktan im Gras ist nicht konstant, sondern ändert sich je nach Tageszeit, Temperatur und Witterung. Gräser produzieren bei Sonnenschein Zucker durch Photosynthese, den sie nachts für ihr Wachstum verbrauchen. Wenn es jedoch kalt oder trocken ist, wird dieser Zucker nicht vollständig umgesetzt, sondern in Form von Fruktan gespeichert.
Besonders kritisch sind sonnige Tage, denen kalte Nächte mit Temperaturen unter fünf Grad folgen. Dann steigt der Fruktangehalt stark an. Auch nach längeren Trockenperioden oder kurz nach Regenfällen können hohe Fruktanwerte auftreten. Für empfindliche Pferde ist das Risiko in diesen Phasen besonders groß. Die sicherste Zeit zum Weiden ist meist am Nachmittag, wenn der Zuckeranteil am niedrigsten ist. Dagegen sollte morgens nach kalten Nächten nicht geweidet werden, da die Fruktankonzentration dann am höchsten ist. Wer den Stoffwechsel seiner Pferde schonen will, richtet die Weidezeiten nach dem Wetter.
Abweiden im Herbst – sanft zurück in den Wintermodus
Wenn die Tage kürzer und die Nächte kälter werden, verändert sich das Gras erneut. Durch die intensivere Sonneneinstrahlung und die langsamere Stoffwechselaktivität der Pflanzen steigt der Fruktananteil im Herbstgras deutlich an. Gleichzeitig nimmt der Rohfasergehalt ab. Das Gras ist dann ähnlich wie im Frühjahr – und birgt die gleichen Risiken.
Damit Pferde gesund in den Winter gehen, sollte die Weidezeit im Herbst schrittweise reduziert werden. Heu wird wieder zur Hauptfutterquelle, während die Weide zunehmend zur Beschäftigung dient. Besonders an sonnigen, kalten Tagen ist Vorsicht geboten, da das Risiko für Stoffwechselbelastungen oder Hufrehe steigt. Besser ist das Weiden an milden, bedeckten Tagen oder in den Nachmittagsstunden. Empfindliche Weiden sollten frühzeitig geschont werden, um die Grasnarbe zu erhalten. Nach dem letzten Weidegang ist es sinnvoll, die Fläche zu pflegen, Kot zu entfernen, Lücken zu schließen und die Weide in die Winterruhe zu schicken.
Empfindliche Pferde – besondere Vorsicht
Für Pferde mit Stoffwechselproblemen wie EMS oder Hufrehegefahr gilt besondere Vorsicht. Bei diesen Tieren sollte individuell entschieden werden, ob ein Weidegang überhaupt möglich ist. In vielen Fällen ist es sicherer, vollständig auf die Weide zu verzichten oder nur sehr kurze Zeiten zuzulassen.
Wenn Weidegang erlaubt ist, sollte er streng begrenzt erfolgen. Die Weidezeiten am Nachmittag oder an bedeckten, milden Tagen sind am geeignetsten, da der Fruktananteil dann am niedrigsten ist. Fressbremsen können zwar die Grasaufnahme reduzieren, verursachen bei manchen Pferden jedoch Stress oder Scheuerstellen. Sie sollten daher nur eingesetzt werden, wenn kürzere Weidezeiten organisatorisch nicht möglich sind. Eine enge Abstimmung zwischen Tierarzt, Futterberater und Besitzer ist bei solchen Pferden unerlässlich, um Rückfälle zu vermeiden.
Pflege rund ums An- und Abweiden
Sowohl vor dem ersten Weidegang als auch nach der letzten Nutzung spielt die Pflege eine zentrale Rolle. Im Frühjahr sollte die Fläche von Altgrasresten befreit, geschleppt und bei Bedarf gestriegelt werden, damit Luft und Licht an den Boden gelangen. Während der Weidesaison ist auf gleichmäßige Nutzung und ausreichende Erholungsphasen zu achten. Nach dem Abweiden im Herbst entfernt man Kot und Pflanzenreste, bessert Trittschäden aus und führt, wenn nötig, eine Nachsaat durch. So kann die Weide über den Winter regenerieren und im nächsten Frühjahr wieder vital austreiben.
Fazit
Richtiges An- und Abweiden ist keine Routine, sondern die Grundlage für gesunde Pferde und langlebige Weiden. Ein zu schneller Start im Frühjahr oder ein zu spätes Ende im Herbst kann den Stoffwechsel der Pferde stark belasten und die Grasnarbe dauerhaft schädigen. Wer Geduld hat, das Wetter berücksichtigt und die Weidezeiten behutsam anpasst, fördert die Gesundheit seiner Tiere und die Stabilität seiner Flächen gleichermaßen. Eine pferdegerechte Weide ist kein Zufall, sondern das Ergebnis von Erfahrung, Achtsamkeit und Verständnis für das Zusammenspiel von Pflanzen, Boden und Pferd.
