Müsli - Fertigmischung mit Nachteilen
Pferdemüslis sind heute aus vielen Futterkammern nicht mehr wegzudenken. Sie gelten als praktisch, vielseitig und oft als „rundum versorgt“. Doch dieser Eindruck ist historisch betrachtet relativ jung. Müslis für Pferde sind kein traditionelles Futtermittel, sondern ein Produkt moderner Fütterungskonzepte, die sich stark an Bequemlichkeit, Logistik und Vermarktung orientieren. Um ihren Stellenwert realistisch einzuordnen, lohnt sich ein Blick auf ihre Entstehung, ihre Zusammensetzung und ihre tatsächliche Wirkung im Pferdekörper.
Wie Pferdemüsli entstand – von Militärlogistik zu Komfortfutter
Die Wurzeln heutiger Pferdemüslis liegen nicht in einer besonders pferdegerechten Fütterungsphilosophie, sondern in der Notwendigkeit, große Pferdebestände möglichst effizient zu versorgen. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert spielten Pferde eine zentrale Rolle im Militär – als Zug-, Reit- und Lasttiere. Die Versorgung dieser Tiere stellte eine enorme logistische Herausforderung dar. Heu war zwar das natürliche Grundfutter, aber sperrig, schwer zu transportieren, schlecht standardisierbar und stark von regionaler Verfügbarkeit abhängig. In Kriegszeiten wurde deshalb intensiv nach Möglichkeiten gesucht, Futter zu konzentrieren: mehr Energie und Nährstoffe bei möglichst geringem Volumen (1).
In diesem Zusammenhang entstanden frühe Formen von Misch- und Konzentrationsfuttern. Getreide, Hülsenfrüchte und andere Komponenten wurden gemahlen, gemischt und teilweise zu festen Rationen verarbeitet, etwa zu Presslingen oder gebackenen Futterrationen. Ziel war nicht eine langfristig gesunde Verdauung, sondern Versorgungssicherheit, Transportfähigkeit und einfache Lagerung. Diese Futtermittel sollten Pferde kurzfristig leistungsfähig halten, nicht über Jahre hinweg ausgewogen ernähren. Der militärische Einsatz prägte damit den Grundgedanken vieler späterer Kraft- und Mischfutter: standardisiert, kompakt und energiereich (1).
Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft und der Futtermittelherstellung im 20. Jahrhundert wurden diese Konzepte zunehmend in den zivilen Bereich übertragen. Techniken wie Zerkleinern, Flockieren, Pressen und Pelletieren hielten Einzug in die Pferdefütterung. Parallel dazu nahm die Stallhaltung zu, Weidezeiten wurden kürzer, und der Wunsch nach „praktischen Komplettlösungen“ wuchs. In dieser Phase entwickelten sich auch Futtermittel in sichtbarer Mischform – Vorläufer dessen, was heute als Pferdemüsli bezeichnet wird (2, 3).
In Deutschland gilt der Anfang des 20. Jahrhunderts patentierte „Reformhafer“ als eines der ersten Futtermittel in Müsliform, bei dem verschiedene Komponenten bewusst sichtbar kombiniert wurden. Das moderne Pferdemüsli ist somit das Ergebnis dieser Entwicklung: eine Verbindung aus militärisch geprägtem Konzentrationsgedanken, industrieller Verarbeitung und marktorientierter Anpassung an die Bedürfnisse der Pferdehalter. Dass dabei die individuelle Verdauungsphysiologie des Pferdes und die zentrale Bedeutung von Raufutter häufig in den Hintergrund treten, ist historisch erklärbar (2, 4).
Wann ist ein Futter eigentlich ein Müsli?
Ein Pferdemüsli ist keine klar definierte Futtermittelkategorie, sondern beschreibt eine Mischung verschiedener Komponenten. Meist enthält es Getreideflocken oder -schrote, Nebenprodukte wie Kleie oder Pressschnitzel, Strukturträger, Öle sowie häufig zugesetzte Mineralstoffe, Vitamine und Aromastoffe. Die einzelnen Bestandteile sind sichtbar gemischt und sollen sich optisch voneinander abheben.
Entscheidend ist: Ein Müsli ist immer ein Kombinationsfutter, das mehrere Funktionen gleichzeitig erfüllen soll. Genau darin liegt die grundsätzliche Schwierigkeit, denn die Bedürfnisse von Pferden sind individuell und lassen sich selten sinnvoll über ein einziges Produkt abdecken.
Getreidehaltige und getreidefreie Müslis
Getreidehaltige Müslis enthalten meist Hafer, Gerste, Mais oder Weizen in unterschiedlicher Aufbereitung. Sie liefern schnell verfügbare Energie, häufig in relevanter Stärkemenge. Für viele Freizeitpferde ist diese Energie nicht notwendig und stellt eine unnötige Belastung für Stoffwechsel und Verdauung dar. Besonders bei empfindlichen Pferden können solche Müslis zu Unruhe, Verdauungsproblemen, Übergewicht oder Stoffwechselentgleisungen beitragen.
Getreidefreie Müslis werden oft als gesündere Alternative beworben. Sie verzichten auf klassische Getreidearten, enthalten dafür aber häufig größere Mengen an Pressschnitzeln, Strukturträgern, Ölen oder Zuckerersatzstoffen. Zwar sinkt der Stärkegehalt, doch das Grundproblem bleibt bestehen: Auch diese Müslis liefern konzentrierte Energie und kombinieren sehr unterschiedliche Inhaltsstoffe in einem Produkt. „Getreidefrei“ ist daher kein Qualitätsmerkmal, sondern lediglich eine Beschreibung dessen, was fehlt – nicht dessen, was tatsächlich sinnvoll enthalten ist.
Mineralisierte und vitaminisierte Müslis
Ein Großteil der angebotenen Pferdemüslis ist mit Mineralstoffen und Vitaminen angereichert. Das soll den Eindruck vermitteln, das Pferd sei mit diesem einen Futter vollständig versorgt. In der Praxis führt dies jedoch häufig zu Problemen. Die enthaltenen Mengen orientieren sich an pauschalen Annahmen und passen selten zur individuellen Ration aus Heu, Weide und eventuellen Ergänzungsfuttern. Wird zusätzlich ein Mineralfutter gefüttert, was sehr häufig der Fall ist, entstehen schnell Überversorgungen einzelner Mineralstoffe oder Spurenelemente.
Unmineralisierte Müslis wirken auf den ersten Blick flexibler, sind jedoch ebenfalls kein wirklicher Vorteil. Sie liefern weiterhin Energie und andere Nährstoffe in festgelegter Zusammensetzung, ohne gezielt auf den tatsächlichen Bedarf des Pferdes eingehen zu können. In beiden Fällen bleibt das Grundproblem bestehen: Die Kombination vieler Funktionen in einem Produkt erschwert eine bedarfsgerechte Fütterung.
Spezialmüslis – Lösung oder Marketing?
Seniorenmüslis, magenfreundliche Müslis, Müslis für stoffwechselkranke Pferde oder spezielle Mischungen für Erkrankungen wie PSSM2 sind heute weit verbreitet. Sie versprechen, komplexe Probleme über ein einzelnes Produkt zu lösen. Tatsächlich unterscheiden sie sich oft nur in Details von herkömmlichen Müslis: etwas weniger Stärke, etwas mehr Fett, zusätzliche Kräuter oder veränderte Strukturträger.
Die zugrunde liegenden Probleme – etwa Zahnstatus, Darmflora, Muskelstoffwechsel oder hormonelle Regulation – lassen sich jedoch nicht durch ein Mischfutter beheben. Gerade bei sensiblen Pferden ist eine klare Trennung von Energieversorgung, Proteinergänzung und Mineralstoffgabe deutlich zielführender als der Griff zu einem „angepassten“ Müsli.
Vor- und Nachteile von Müslis
Der größte Vorteil von Müslis liegt in ihrer Bequemlichkeit. Sie sind einfach zu füttern, schmackhaft und optisch ansprechend. Für den Menschen vermitteln sie Struktur und Kontrolle.
Demgegenüber stehen zahlreiche Nachteile: unklare Nährstoffverhältnisse, häufig unnötige Energiezufuhr, das Risiko von Über- oder Fehlversorgungen, eine geringe Anpassungsfähigkeit an das individuelle Pferd sowie mögliche Belastungen von Darmflora und Stoffwechsel. Müslis ersetzen weder hochwertiges Heu noch eine durchdachte Rationsgestaltung – sie überdecken Probleme, statt sie zu lösen.
Fazit
Pferdemüslis sind kein natürlicher Bestandteil einer pferdegerechten Fütterung, sondern ein Produkt moderner Vereinfachung. Sie versuchen, viele Bedürfnisse gleichzeitig abzudecken, scheitern dabei aber häufig an der Individualität des Pferdes. In der Praxis sind sie meist ein fauler Kompromiss zwischen Bequemlichkeit und tatsächlichem Bedarf. Eine klare, strukturierte Fütterung aus gutem Raufutter, gezielt eingesetztem Kraftfutter und separat abgestimmter Mineralversorgung ist in den allermeisten Fällen die deutlich gesündere und sinnvollere Lösung.
Quellen
(1) https://achh.army.mil/history/book-wwii-vetservicewwii-chapter14/
(2) https://www.hoeveler.com/ueber-uns/historie/
(3) https://www.horseandhound.co.uk/horse-care/feeding/the-history-of-feeding-innovations-58574
(4) https://www.cambridge.org/core/journals/journal-of-applied-animal-nutrition/article/review-of-the-feed-industry-from-a-historical-perspective-and-implications-for-its-future/A655939BDBB386140F15ECB577F5711C
