Hafer - das klassische Kraftfutter
Hafer zählt zu den bekanntesten Kraftfuttermitteln in der Pferdefütterung. Über viele Generationen hinweg war er das klassische Futter für Arbeits-, Militär- und Sportpferde. Auch heute noch wird Hafer häufig eingesetzt, oft aus Tradition oder Gewohnheit. Gleichzeitig hat er einen zwiespältigen Ruf: Für die einen ist er ein gut verträglicher Energielieferant, für die anderen macht er Pferde nervös und „heiß“. Um Hafer sinnvoll einordnen zu können, lohnt sich ein genauer Blick auf seine Zusammensetzung, seine Wirkung im Pferdekörper und die Grenzen seines Einsatzes.
Zusammensetzung von Hafer
Hafer besteht überwiegend aus Stärke und liefert damit leicht verfügbare Energie. Im Vergleich zu anderen Getreidearten enthält er etwas mehr Rohfaser und auch einen höheren Fettanteil. Dadurch gilt er als etwas „milder“ und besser verdaulich als beispielsweise Mais oder unbehandelte Gerste. Der Proteingehalt ist moderat, reicht aber allein nicht aus, um einen erhöhten Eiweißbedarf zu decken. Mineralstoffe und Spurenelemente sind zwar enthalten, spielen für die Beurteilung von Hafer als Kraftfutter jedoch eine untergeordnete Rolle.
Wirkung von Hafer im Pferdekörper
Die Hauptwirkung von Hafer liegt in seiner Energiebereitstellung. Die enthaltene Stärke wird im Dünndarm enzymatisch aufgespalten und in Form von Glukose ins Blut aufgenommen. Dadurch steht dem Pferd relativ schnell Energie zur Verfügung. Diese Eigenschaft machte Hafer früher besonders wertvoll für Pferde, die täglich körperlich schwer arbeiteten oder hohe Leistungen erbringen mussten.
Wird Hafer in moderaten Mengen und eingebettet in eine raufutterreiche Ration gefüttert, kann er gut verdaut werden. Problematisch wird es vor allem dann, wenn größere Mengen Hafer auf einmal gegeben werden oder das Verhältnis von Kraft- zu Raufutter nicht mehr stimmt.
Warum Hafer „sticht“ – was wirklich dahintersteckt
Der Ausdruck „Hafer sticht“ beschreibt ein Verhalten, das viele Pferde nach der Haferfütterung zeigen können: Sie wirken nervöser, reaktionsschneller oder schreckhafter. Dieses Phänomen hat Hafer bis heute einen schlechten Ruf eingebracht. Dabei handelt es sich weniger um eine Charakterfrage als um eine physiologische Reaktion.
Die Ursache liegt in der schnellen Verfügbarkeit der im Hafer enthaltenen Stärke. Nach der Fütterung steigt der Blutzuckerspiegel vergleichsweise rasch an, worauf der Körper mit einer entsprechenden Insulinausschüttung reagiert. Diese kurzfristige Energiebereitstellung kann sich im Verhalten zeigen, insbesondere bei Pferden, die wenig gearbeitet werden oder generell sensibel auf Blutzuckerschwankungen reagieren.
Nicht jedes Pferd reagiert gleich. Menge, Fütterungszeitpunkt, Trainingszustand, Raufutterversorgung und individueller Stoffwechsel spielen eine große Rolle. Wird Hafer in zu großen Mengen gefüttert oder passt er nicht zum Bedarf des Pferdes, kann es zusätzlich dazu kommen, dass unverdaute Stärke in den Dickdarm gelangt. Dort stört sie das mikrobielle Gleichgewicht, was Stressreaktionen im Körper auslösen kann. Die beobachtete Unruhe ist dann kein Ausdruck von „Temperament“, sondern von stoffwechselbedingter Belastung.
Hafer wird deshalb oft zu Unrecht pauschal verteufelt. Nicht der Hafer an sich ist das Problem, sondern die falsche Dosierung oder der falsche Einsatz beim falschen Pferd.
Vorteile von Hafer
Richtig eingesetzt hat Hafer durchaus Vorteile. Er ist wenig verarbeitet, überschaubar in seiner Zusammensetzung und gut dosierbar. Viele Pferde nehmen ihn gerne auf, und seine Wirkung ist im Vergleich zu stark verarbeiteten Kraftfuttern relativ gut einschätzbar. Bei Pferden mit echtem Energiebedarf kann Hafer eine sinnvolle Ergänzung sein, wenn die Ration insgesamt ausgewogen aufgebaut ist.
Grenzen und Risiken
Trotz seiner Vorteile bleibt Hafer ein stärkehaltiges Kraftfutter. Für Pferde mit empfindlichem Stoffwechsel, Insulinresistenz, EMS oder Hufrehe-Neigung ist er in der Regel ungeeignet. Auch bei Freizeitpferden mit geringer Arbeitsbelastung führt Hafer häufig zu einer Energieüberversorgung, die sich langfristig negativ auf Gesundheit und Verhalten auswirken kann. Große Einzelgaben, wenig Raufutter oder eine insgesamt unausgewogene Fütterung erhöhen das Risiko für Verdauungsstörungen, Kotwasser oder Unruhe.
Hafer bei unterschiedlichen Pferdetypen
Für viele Freizeitpferde ist Hafer nicht notwendig, da ihr Energiebedarf durch gutes Raufutter gedeckt werden kann. Bei Sport- und Arbeitspferden kann Hafer sinnvoll sein, wenn tatsächlich ein Mehrbedarf besteht. Schwerfuttrige Pferde profitieren manchmal von der zusätzlichen Energie, während leichtfuttrige oder stoffwechselsensible Pferde häufig negativ reagieren.
Ganzer oder gequetschter Hafer – Unterschiede in Lagerung und Fütterung
Hafer kann ganz oder gequetscht gefüttert werden. Ganzer Hafer ist in der Lagerung unproblematisch, lange haltbar und kann direkt verfüttert werden. Durch das gründliche Kauen der Pferde wird er ausreichend aufgeschlossen, sodass er in den meisten Fällen gut verwertbar ist.
Gequetschter Hafer ist hingegen deutlich empfindlicher. Durch das Quetschen werden die Kornstrukturen aufgebrochen, was die Angriffsfläche für Sauerstoff, Feuchtigkeit und Mikroorganismen stark vergrößert. Dadurch beginnt der Hafer schneller zu oxidieren und kann ranzig werden oder mikrobiell verderben. Gequetschter Hafer sollte daher möglichst frisch verfüttert oder innerhalb kurzer Zeit verbraucht werden.
Fertig gequetschter Hafer aus dem Handel ist in der Regel mit Konservierungsstoffen behandelt, um die Haltbarkeit zu verlängern. Diese Zusätze sind notwendig, um Verderb zu verhindern, bedeuten aber zugleich, dass es sich nicht mehr um ein unverändertes Einzelfuttermittel handelt. Wer Hafer füttert, fährt daher in vielen Fällen mit ganzem Hafer besser, insbesondere bei kleineren Mengen.
Grünhafer – was ist der Unterschied zum klassischen Hafer?
Grünhafer unterscheidet sich grundlegend vom klassischen Haferkorn. Während bei Hafer als Kraftfutter das ausgereifte Korn verfüttert wird, handelt es sich bei Grünhafer um die gesamte Pflanze, die vor der vollständigen Ausreife geerntet und getrocknet wird. Grünhafer enthält daher deutlich weniger Stärke und liefert seine Energie vor allem über Rohfaser und strukturreiche Pflanzenbestandteile.
Dadurch wirkt Grünhafer wesentlich langsamer und schonender auf den Stoffwechsel als klassischer Hafer. Er zählt streng genommen nicht zum Kraftfutter im eigentlichen Sinne, sondern steht näher an strukturreichen Raufutterergänzungen. Grünhafer eignet sich daher eher zur Unterstützung der Verdauung oder als strukturreiche Ergänzung für empfindliche Pferde, nicht jedoch zur schnellen Energiebereitstellung. Die häufige Gleichsetzung von Grünhafer mit Hafer als Kraftfutter führt daher leicht zu Missverständnissen.
Fazit
Hafer ist kein grundsätzlich schlechtes Kraftfutter, aber auch kein Standardfutter für jedes Pferd. Seine Stärke liegt in der schnellen Energiebereitstellung, seine Schwäche in der Belastung des Stoffwechsels bei falschem Einsatz. Ob Hafer sinnvoll ist, hängt immer vom einzelnen Pferd, seinem Bedarf und der gesamten Ration ab. Gezielter Einsatz statt Gewohnheitsfütterung ist der Schlüssel – dann verliert auch der Satz „Hafer sticht“ seinen Schrecken.
